Über das Buch

Nachdem die Begeisterung eines Berg- und Wanderliebhabers für die notwendige Initialzündung gesorgt hatte, tat ich mit 39 Jahren den entscheidenden Schritt. Unzureichend ausgerüstet und konditionell schlecht vorbereitet erklomm ich zum ersten Mal die Bergeshöhen – und wusste sofort, dass ich wieder kommen würde.

700, 800, 900 und noch mehr Kilometer bin ich von meinen Wandergebieten entfernt. Einen ganzen Tag braucht es, vom Ruhrgebiet nach Berchtesgaden zu reisen, ins Vorarlberger Bludenz, ins bezaubernde Unterengadin oder ins Passeiertal nach Südtirol. Der Ruf der Berge kümmert den Zeitaufwand nicht, leicht überbrückt er jede Distanz.

In ‚Das pure Glück‘ erzähle ich von meinen Wandertouren der Jahre 1993 bis 2011, von meinem Bedürfnis, mit der Natur allein zu sein und von der Freude, eigenverantwortlich einen Weg zu gehen. Ich erzähle vom nicht enden wollenden Lernen und Grenzen-finden, von ausgelassener Freude und Ehrfurcht, vom schmerzvollen Abschiednehmen und vom Glück des Wiederkehrens.

Digitale Reisekamera


Leseprobe

Ouvertüren

Das Grenzgebirge Rätikon im österreichischen Montafon und im Schweizer Prättigau hatte ich zum ersten Mal und in der Folge am häufigsten besucht, so dass von dieser Region entsprechend oft die Rede sein wird. Die Höhenwege Nord und Süd, sowie sämtliche Übergänge von einem Land ins andere, als da sind Tore, Jochs und Furcae, bin ich mehrfach gegangen. Weder Regen, Nebel noch Schnee hatten mich abgeschreckt. Der Weg wurde ‚einfach‘ den Wetterverhältnissen angepasst und in Regionen verlegt, die das Laufen so gefahrlos wie möglich machten, was in einem Jahr – ich erzähle später davon – ein wahres Kunststück war. Keinesfalls hätte ich nach der ausgestandenen Sehnsucht und der elf Stunden langen Anfahrt wegen ‚schlechten‘ Wetters in der Stube hocken wollen.
Obwohl ich die Rätikon-Wege kreuz und quer bewanderte, wurde ich sie nie leid, im Gegenteil: Das immer bessere Kennenlernen der Region gefiel mir, erfuhr ich doch auf jeder Tour die Natur neu, entdeckte ich überraschende Details und erlebte eine andere Sicht. So ist der Rätikon meine sich stets erneuernde Liebe geworden – wozu maßgeblich der Grabs-Lift beigetragen hat. Von ihm sowie zwei weiteren Transportmitteln möchte ich erzählen, war ja das Vordringen in die Hochgebirgswelt mit jedem von ihnen der Auftakt zu einem landschaftlichen Bühnenwerk – eine feierliche Ouvertüre.

Die legendäre Grabs-Bahn mit Einzelsitzen – einstmals der längste Sessellift im gesamten Alpenraum – wurde in den fünfziger Jahren bei Tschagguns im Montafon gebaut und war am Ende seines Daseins ein betagtes Schätzchen. Mit leisen, ja, zärtlichen Tönen hatte er etliche Konzerte für mich eröffnet, darunter das erste meiner Wanderzeit.
Warum mir ausgerechnet dieser alte Lift ans Herz gewachsen ist? Weil er mich, so oft ich in einem seiner Sessel saß, in diesen köstlichen Schwebezustand versetzte, als wäre ich ein Löwenzahnsamen, den der Wind vor sich hertreibt, bis sich das Schirmchen weit oben am Berg zur Erde senkt. Mit der Erwartung dieses Gefühls beschenkte er mich von dem Augenblick an, wenn wir uns am Morgen von meinem ‚Montafoner Basislager‘ auf zur Talstation machten.
Dazu überquerten wir eine Wiese und die Holzbrücke eines Baches, kreuzten den nicht asphaltierten Parkplatz, auf dem ich selten Autos sah. Nie standen wir in der Schlange zum Kartenkauf an, kein Gedränge, keine Menschenmassen, als wäre die Grabs-Bahn allein für mich und meine Wanderfreunde da.
Der Fahrschein war rasch an der altertümlichen Kasse bezahlt. Dann ging es um das kleine Gebäude herum, wo uns die Kassiererin schon erwartete, um ihrer zweiten Aufgabe nachzukommen: den Einstieg in die Sessel zu überwachen und zu unterstützen und den Kollegen an der Bergstation über die bevorstehende Ankunft der Fahrgäste zu verständigen.
Während mein sperriger Rucksack allein und als erster den Hang hinaufzuckelte, stellte ich mich in die richtige Position, um mich nach hinten in den Sitz fallen zu lassen. Und dann schwebte er mit mir den Berghang hinauf… langsam und leise surrend. Unter mir zogen die zirpenden Wiesenhänge dahin, Schafe rupften das Gras, das Glockengebimmel wärmte mir das Herz. Der herbe Kräuteratem der Natur umwehte mein stressgeplagtes Gemüt und hinter mir blieb das Tal zurück…
Heiß flirrte die Luft des Sommermorgens, die Sonne kitzelte meinen Nacken. Ich umfasste die Wanderstöcke fest, damit sie nicht in die Tiefe fielen, drehte mich kurz um und vergewisserte mich, dass sich das Gepäck meiner Wanderbegleitung und diese selbst in den Sesseln hinter mir befanden.
Es ruckelte an einem der Trägermasten, über die das Förderseil verlief. Ein besorgter, prüfender Blick nach oben, auf die Seilklemme des alten Sesselgehänges, dem ich mein Leben vertrauensvoll übergeben hatte – seit dem letzten Jahr brachte ich einige Pfund mehr auf die Waage – und jetzt wird die Sesselstange doch nicht aus der Verankerung springen? Am besten war es, still zu sitzen, die Klemme dort oben zu vergessen.
Wald tat sich auf, ich schwebte hinein. Nun säumten Tannen die Aufwärtsfahrt. Leise, leise zog der Sessel weiter. Zweige wippten so weit herüber, dass ich ihre Zapfen hätte pflücken können, beugte ich mich nur ein wenig hinüber. Unter mir der mit Steinbrocken übersäte Waldboden, dazwischen unzählige Höhlen und Nischen, Wohnungen für allerlei Getier.
Der Abstand zum Boden hatte sich verdoppelt und ich fragte mich, was ich mich jedes Mal fragte, wenn ich in meinem Liftsessel saß: Ob man die Anlage regelmäßig wartete? Falls nicht, hätte ich auf der Stelle aussteigen müssen. Unergiebige Gedanken… Es war wohl besser, die Frage ein für alle Male abzuhaken.
Stattdessen lauschte ich auf das Geraschel, das kaum hörbare Knacken trockener Zweige dort unten im Gehölz. Ein Eichhörnchen jagte einen Stamm hinauf, noch höher, als der Sessel schwebte. Ich freute mich, stolz, den kleinen Waldbewohner trotz meiner starken Kurzsichtigkeit entdeckt zu haben.
Grasende braune Alpenkühe auf einer Lichtung, dem Liftbetrieb schenkten sie keine Beachtung – welch ein Frieden!
Und nun eine geschwärzte Holzhütte, hübsch sah sie aus. Zur Talseite hatte sie eine Miniterrasse, darauf eine schiefe Bank und daneben ein schlichtes Tongefäß mit roten Geranien – mehr nicht. Dieses Domizil, Inbegriff schlichter Bergromantik, hatte einen Besitzer, der dort irgendwann mit geschlossenen Augen in der Sonne sitzen und einfach nur sein würde. Wenn es doch nur Ich sein könnte! Ich, das Ruhrgebietskind.
Je länger die Fahrt dauerte, desto stärker fühlte ich mich der Zeit enthoben, als löste sie sich auf. Je höher es mich den Berg hinauftrug, desto nachhaltiger entglitt ich dem Treiben der Welt und spürte wieder einmal, dass Stille zeitlose Räume schafft. Dieses Gefühl würde mich in durch die nächsten Tage geleiten.
Der Sessel erklomm mit nicht nachlassender Geruhsamkeit den Berg. Nach ein paar Minuten endete der Wald, es trug mich nun auf eine baumfreie Graskuppe zu; danach, das wusste ich, würde die Bergstation mit dem Gasthof Grabs zu sehen sein.
Und da war sie! Jemand stand dort bereit und erwartete uns. Ich sah zu, wie der Lift-Mitarbeiter den Rucksack packte und ihn abstellte, um sich dann auf meine Ankunft zu konzentrieren. Mir war klar, dass er abwog, ob ich behände und sportlich genug sei, selbstständig aus dem Sitz zu springen.
Ich bestand den Test. Er streckte nicht die Hand aus, was ich ermutigend fand im Blick auf die schweißtreibende Strecke, die vor mir lag.
Hier oben war es kühler und windiger, die prickelnde Luft eine Wohltat. Die Sicht ging weit, über die im Tal liegenden Orte Tschagguns und Schruns. Zwar befanden wir uns noch knapp unterhalb der Baumgrenze, aber schon hier zeigten sich die bekanntesten Rätikon-Berge in würdevoller Pracht: die Drei Türme – Wahrzeichen des Montafons. Dorthin würden wir wandern.
Dann schulterten wir die Rucksäcke, fixierten die Länge der Stöcke. Vor uns lag ein Tagespensum von neunhundert Höhenmetern Aufstieg. Bis zur Tilisuna-Hütte am Fuße der Sulzfluh würden wir zwischen sechs und sieben Stunden unterwegs sein. Bereits jetzt freute ich mich auf die Rast am Tobelsee. Er ist nur klein, aber groß genug für das Spiegelbild der Türme.

Ouvertüren

Das Grenzgebirge Rätikon im österreichischen Montafon und im Schweizer Prättigau hatte ich zum ersten Mal und in der Folge am häufigsten besucht, so dass von dieser Region entsprechend oft die Rede sein wird. Die Höhenwege Nord und Süd, sowie sämtliche Übergänge von einem Land ins andere, als da sind Tore, Jochs und Furcae, bin ich mehrfach gegangen. Weder Regen, Nebel noch Schnee hatten mich abgeschreckt. Der Weg wurde ‚einfach‘ den Wetterverhältnissen angepasst und in Regionen verlegt, die das Laufen so gefahrlos wie möglich machten, was in einem Jahr – ich erzähle später davon – ein wahres Kunststück war. Keinesfalls hätte ich nach der ausgestandenen Sehnsucht und der elf Stunden langen Anfahrt wegen ‚schlechten‘ Wetters in der Stube hocken wollen.
Obwohl ich die Rätikon-Wege kreuz und quer bewanderte, wurde ich sie nie leid, im Gegenteil: Das immer bessere Kennenlernen der Region gefiel mir, erfuhr ich doch auf jeder Tour die Natur neu, entdeckte ich überraschende Details und erlebte eine andere Sicht. So ist der Rätikon meine sich stets erneuernde Liebe geworden – wozu maßgeblich der Grabs-Lift beigetragen hat. Von ihm sowie zwei weiteren Transportmitteln möchte ich erzählen, war ja das Vordringen in die Hochgebirgswelt mit jedem von ihnen der Auftakt zu einem landschaftlichen Bühnenwerk – eine feierliche Ouvertüre.

Die legendäre Grabs-Bahn mit Einzelsitzen – einstmals der längste Sessellift im gesamten Alpenraum – wurde in den fünfziger Jahren bei Tschagguns im Montafon gebaut und war am Ende seines Daseins ein betagtes Schätzchen. Mit leisen, ja, zärtlichen Tönen hatte er etliche Konzerte für mich eröffnet, darunter das erste meiner Wanderzeit.
Warum mir ausgerechnet dieser alte Lift ans Herz gewachsen ist? Weil er mich, so oft ich in einem seiner Sessel saß, in diesen köstlichen Schwebezustand versetzte, als wäre ich ein Löwenzahnsamen, den der Wind vor sich hertreibt, bis sich das Schirmchen weit oben am Berg zur Erde senkt. Mit der Erwartung dieses Gefühls beschenkte er mich von dem Augenblick an, wenn wir uns am Morgen von meinem ‚Montafoner Basislager‘ auf zur Talstation machten.
Dazu überquerten wir eine Wiese und die Holzbrücke eines Baches, kreuzten den nicht asphaltierten Parkplatz, auf dem ich selten Autos sah. Nie standen wir in der Schlange zum Kartenkauf an, kein Gedränge, keine Menschenmassen, als wäre die Grabs-Bahn allein für mich und meine Wanderfreunde da.
Der Fahrschein war rasch an der altertümlichen Kasse bezahlt. Dann ging es um das kleine Gebäude herum, wo uns die Kassiererin schon erwartete, um ihrer zweiten Aufgabe nachzukommen: den Einstieg in die Sessel zu überwachen und zu unterstützen und den Kollegen an der Bergstation über die bevorstehende Ankunft der Fahrgäste zu verständigen.
Während mein sperriger Rucksack allein und als erster den Hang hinaufzuckelte, stellte ich mich in die richtige Position, um mich nach hinten in den Sitz fallen zu lassen. Und dann schwebte er mit mir den Berghang hinauf… langsam und leise surrend. Unter mir zogen die zirpenden Wiesenhänge dahin, Schafe rupften das Gras, das Glockengebimmel wärmte mir das Herz. Der herbe Kräuteratem der Natur umwehte mein stressgeplagtes Gemüt und hinter mir blieb das Tal zurück…
Heiß flirrte die Luft des Sommermorgens, die Sonne kitzelte meinen Nacken. Ich umfasste die Wanderstöcke fest, damit sie nicht in die Tiefe fielen, drehte mich kurz um und vergewisserte mich, dass sich das Gepäck meiner Wanderbegleitung und diese selbst in den Sesseln hinter mir befanden.
Es ruckelte an einem der Trägermasten, über die das Förderseil verlief. Ein besorgter, prüfender Blick nach oben, auf die Seilklemme des alten Sesselgehänges, dem ich mein Leben vertrauensvoll übergeben hatte – seit dem letzten Jahr brachte ich einige Pfund mehr auf die Waage – und jetzt wird die Sesselstange doch nicht aus der Verankerung springen? Am besten war es, still zu sitzen, die Klemme dort oben zu vergessen.
Wald tat sich auf, ich schwebte hinein. Nun säumten Tannen die Aufwärtsfahrt. Leise, leise zog der Sessel weiter. Zweige wippten so weit herüber, dass ich ihre Zapfen hätte pflücken können, beugte ich mich nur ein wenig hinüber. Unter mir der mit Steinbrocken übersäte Waldboden, dazwischen unzählige Höhlen und Nischen, Wohnungen für allerlei Getier.
Der Abstand zum Boden hatte sich verdoppelt und ich fragte mich, was ich mich jedes Mal fragte, wenn ich in meinem Liftsessel saß: Ob man die Anlage regelmäßig wartete? Falls nicht, hätte ich auf der Stelle aussteigen müssen. Unergiebige Gedanken… Es war wohl besser, die Frage ein für alle Male abzuhaken.
Stattdessen lauschte ich auf das Geraschel, das kaum hörbare Knacken trockener Zweige dort unten im Gehölz. Ein Eichhörnchen jagte einen Stamm hinauf, noch höher, als der Sessel schwebte. Ich freute mich, stolz, den kleinen Waldbewohner trotz meiner starken Kurzsichtigkeit entdeckt zu haben.
Grasende braune Alpenkühe auf einer Lichtung, dem Liftbetrieb schenkten sie keine Beachtung – welch ein Frieden!
Und nun eine geschwärzte Holzhütte, hübsch sah sie aus. Zur Talseite hatte sie eine Miniterrasse, darauf eine schiefe Bank und daneben ein schlichtes Tongefäß mit roten Geranien – mehr nicht. Dieses Domizil, Inbegriff schlichter Bergromantik, hatte einen Besitzer, der dort irgendwann mit geschlossenen Augen in der Sonne sitzen und einfach nur sein würde. Wenn es doch nur Ich sein könnte! Ich, das Ruhrgebietskind.
Je länger die Fahrt dauerte, desto stärker fühlte ich mich der Zeit enthoben, als löste sie sich auf. Je höher es mich den Berg hinauftrug, desto nachhaltiger entglitt ich dem Treiben der Welt und spürte wieder einmal, dass Stille zeitlose Räume schafft. Dieses Gefühl würde mich in durch die nächsten Tage geleiten.
Der Sessel erklomm mit nicht nachlassender Geruhsamkeit den Berg. Nach ein paar Minuten endete der Wald, es trug mich nun auf eine baumfreie Graskuppe zu; danach, das wusste ich, würde die Bergstation mit dem Gasthof Grabs zu sehen sein.
Und da war sie! Jemand stand dort bereit und erwartete uns. Ich sah zu, wie der Lift-Mitarbeiter den Rucksack packte und ihn abstellte, um sich dann auf meine Ankunft zu konzentrieren. Mir war klar, dass er abwog, ob ich behände und sportlich genug sei, selbstständig aus dem Sitz zu springen.
Ich bestand den Test. Er streckte nicht die Hand aus, was ich ermutigend fand im Blick auf die schweißtreibende Strecke, die vor mir lag.
Hier oben war es kühler und windiger, die prickelnde Luft eine Wohltat. Die Sicht ging weit, über die im Tal liegenden Orte Tschagguns und Schruns. Zwar befanden wir uns noch knapp unterhalb der Baumgrenze, aber schon hier zeigten sich die bekanntesten Rätikon-Berge in würdevoller Pracht: die Drei Türme – Wahrzeichen des Montafons. Dorthin würden wir wandern.
Dann schulterten wir die Rucksäcke, fixierten die Länge der Stöcke. Vor uns lag ein Tagespensum von neunhundert Höhenmetern Aufstieg. Bis zur Tilisuna-Hütte am Fuße der Sulzfluh würden wir zwischen sechs und sieben Stunden unterwegs sein. Bereits jetzt freute ich mich auf die Rast am Tobelsee. Er ist nur klein, aber groß genug für das Spiegelbild der Türme.

Habe ich Sie neugierig gemacht?

,Das pure Glück‘ erscheint in Kürze.